
Du stehst an der Startlinie. Bestens vorbereitet, die Zielzeit fest im Visier. Nur noch wenige Sekunden bis der Pistolenschuss ertönt. „Das Rennen langsam angehen lassen. Die Körner nicht auf den ersten Metern verschießen“ – das hast du dir fest vorgenommen. Peng! Du sprintest (!) los. Alle Vorsätze über Bord. Die ersten 300 Meter sind geschafft. Läuft doch. Oder doch nicht? Das Keuchen wird lauter, die Beine schwerer und im Mund leichter Blutgeschmack. Laktat lässt grüßen! Und das Tempo schwindet. Björn Geesmann, Trainer von Patrick Lange und Geschäftsführer von STAPS, erklärt dir, was es mit dem Laktat auf sich hat und wie du deine Formkurve mit Schwellentraining anhebst, um das nächste Mal nicht abreißen zu lassen.
Laktat – Was ist das überhaupt?
Kurz und knapp: Laktat ist ein Stoffwechselprodukt des Körpers. Genauer gesagt ein Salz der Milchsäure. Produziert wird es ständig. In hohen Mengen fällt es allerdings dann an, wenn der über die Atmung aufgenommene Sauerstoff nicht mehr ganz ausreicht, um den benötigten Energiebedarf zur Muskelkontraktion zu decken - wie beispielsweise während deinem Spurt nach dem Startschuss.

Das Team vergibt Freistarts bei zahlreichen Veranstaltungen. Dazu zählen die hochkarätigen Marathonläufe in Berlin und Hannover oder die Triathlon-Highlights in Hamburg und Köln.
- 1) Als bevorzugte Energiequelle des Herzens kann Laktat als Treibstoff dienen.
- 2) Muskeln ist es möglich, aus Laktat direkt Energie zu gewinnen.
- 3) Wird aktuell keine Energie benötigt, wandelt die Leber das Laktat in Zuckermoleküle um, die wiederum später als Energielieferant zur Verfügung stehen.
- 4) Zudem aktiviert Laktat sowohl die Wundheilung als auch die Neubildung von Gefäßen.
Hohe Laktatspiegel haben daher einen ähnlichen Effekt wie ein Höhentraining. Ein echtes Wundermittel, schaut man genauer hin! Das Problem bzw. der leistungslimitierende Faktor ist deshalb nicht – wie lange Zeit angenommen – das anfallende Laktat, sondern dessen Begleiterscheinung, die Wasserstoffionen. Sie hemmen die Aufnahme von Kalzium, das wiederum benötigt wird, um frische Energie aus Adenosintriphosphat (ATP*) freizusetzen. Der Muskel übersäuert.
*Adenosintriphosphat (ATP) = Hauptenergiespeicher der Zellen; Jede einzelne Zelle im menschlichen Körper bezieht ihre Energie aus ATP. Es kann jedoch nicht auf Vorrat gespeichert werden und muss ständig neu aus Kreatinphosphat, Glykogen oder Fett produziert werden.
Denk daran: Die Energie für sportliche Leistungen wird nicht unmittelbar aus der Nahrung (Kohlenhydrate, Fette, Eiweiße) gewonnen, sondern aus der ständigen Spaltung und Resynthese des energiereichen ATP. Da nicht alle Nährstoffe sofort in Form von Energie benötigt werden, wird ein Teil als Kreatinphosphat, Glykogen oder Fett zwischengelagert, um daraus bei Bedarf wieder ATP zu gewinnen.
Exkurs: Die Grundlagen der Energiebereitstellung
Laktatschwelle
Laktat ist also ein Produkt des anaeroben-laktaziden Stoffwechsels. Soweit, so gut. Bei steigender Belastung nimmt die Laktatbildung zu. Auch das logisch. Unter der langanhaltenden Belastung entsteht allerdings irgendwann mehr Laktat und damit einhergehend mehr Wasserstoffionen, als der Körper zeitgleich abbauen kann.
Der Anstieg der Laktatproduktion verläuft mit steigender Intensität immer exponentiell, wohingegen der Anstieg der Sauerstoffaufnahme – und damit der Laktatverstoffwechselung – linear ist.

Deine Muskeln „übersäuern“ und der Körper zwingt dich zu einer starken Reduzierung deiner Belastungsintensität. Jetzt hast du die Schwelle überschritten.
Die Laktatschwelle kennzeichnet demnach die Intensität, bei der die Bildung gerade noch der Elimination entspricht.
Die Herausforderung liegt darin, herauszufinden, wo die persönliche Schwelle liegt, und einen individuellen Belastungsbereich zu definieren. Schwelle finden: In Eigenregie aussichtslos - daher auf zur Leistungsdiagnostik!

Info:
Für eine Schwellenbestimmung gibt es – bei einer sinnvollen, modernen Bestimmung – nicht mehr unbedingt „Kurven“. Laktatleistungskurven sind größtenteils überholt.
Björn Geesmann: „Bei der Schwellenleistung ist das Prinzip sehr einfach: Je höher, desto besser. Zumal die Schwellenleistung nicht nur die absolute Leistungsfähigkeit beschreibt, sondern auch den Fettstoffwechsel bedingt (je höher die Schwelle, desto besser der Fettstoffwechsel). Frauen haben pauschal niedrigere Werte des aeroben Systems (VO2max), dafür aber zumeist Vorteile beim anaeroben Stoffwechsel (VLamax), der verhältnismäßig tiefer liegt und damit für Ausdauerleistungen besser geeignet ist. Der Grund dafür liegt zum einen in der Muskelmasse, der Anzahl der Mitochondrien als auch der Fasertypen-Zusammensetzung der Muskulatur. Frauen sind vielleicht sogar etwas besser für Ausdauerleistungen geeignet als Männer.“
Trainingsschwerpunkte und Richtwerte für die Trainingssteuerung
Björn Geesmann: „Die Schwellenleistung setzt sich aus zwei Bedingungen zusammen: Dem aeroben und dem anaeroben Stoffwechsel. Letzterer kann als „Gegenspieler“ der Ausdauerleistungsfähigkeit angesehen werden. Wenn wir es also vereinfacht darstellen möchten, wäre das pauschale Prinzip für das Training: Der aerobe Stoffwechsel (VO2max) sollte möglichst groß sein. Für eine hohe VO2max braucht es – in Abhängigkeit von zeitlicher Verfügbarkeit, Vorerfahrung, etc. – zum einen eine Basis an umfangsorientiertem Training als auch gezielt gesetzter Intensitäten. Dem Gegenüber bedeutet ein Anstieg der Schwellenleistung, dass der anaerobe Stoffwechsel (VLamax) gesenkt werden sollte. Dafür braucht es ebenfalls Umfang, aber auch die Periodisierung von Kohlenhydraten im Training oder kraftbetonte Intensitäten leicht unterhalb der Schwellenleistung.“
Björn Geesmann: „Beim Laufen die Pace und die Herzfrequenz, beim Rad die Leistung und Herzfrequenz, beim Schwimmen die Pace.“
ACHTUNG:
Ein Schwellentraining ist nur dann sinnvoll, wenn du schon längere Zeit deine Grundlagenausdauer auf tiefem Pulsniveau trainiert hast. Wenn du zu früh mit intensiven Einheiten anfängst, machst du unweigerlich deine „Form“ kaputt. Richtwerte:
- Herzfrequenz: 85 bis 88 Prozent der HFmax
- Pace: Halbmarathon- bis Marathon-Renntempo; 5-km-Renntempo +30 bis 40 Sekunden pro Kilometer, 10-km-Renntempo +15 bis 25 Sekunden pro Kilometer
- Gefühl: Angenehm hart (höchstmögliches Tempo ohne in Atemnot zu geraten oder Geschwindigkeitseinbrüche zu erleiden)
- Atmung: Bei einem lockeren Dauerlauftempo atmet man in der Regel über drei Schritte ein und über drei Schritte aus. Bei einem ansprechenden Tempodauerlauf atmet man normalerweise über zwei Schritte ein und über einen Schritt aus. Intervalltempo 1:1 – zu schnell!!!
Björn Geesmann: „Das ist ein häufig zu beobachtendes Problem, ja. Körpergefühl ist wichtig, der Sportler sollte nicht zu sehr daten-getrieben sein. Im Idealfall gibt es ja jemanden (Sportwissenschaftler, Coach), der die Daten professionell einordnet. Der Athlet selber aber sollte immer den Mittelweg finden aus Daten und Körpergefühl. Also auch mal bei einer Radausfahrt/ einem Lauf nicht zu sehr auf die Uhr schauen und vermehrt in sich hinein hören.“

Björn Geesmann: „Da wir dauerhaft Laktat produzieren und abbauen, geht der Abbau auch nach intensiver Belastung sehr zügig. Selbst im Ruhezustand liegt dieser Abbau bei etwa 0,5mmol/l/min. Demnach dauert es auch nach intensiven Belastungen selten länger als 15 Minuten, bis die Konzentration wieder im Ruhezustand angekommen ist. Beschleunigen lässt sich dieser Prozess durch Bewegung: Je mehr Sauerstoff ich verarbeite, desto schneller ist der Laktat-Abbau. Es empfiehlt sich also sich nach intensiven Belastungen locker im Grundlagenbereich zu bewegen.“
Jetzt zählt’s! Bedeutung von Laktat für den Wettkampf
Björn Geesmann: Fette können nur unter der Zuhilfenahme von Kohlenhydraten verarbeitet werden. Und Fette müssen nicht zugeführt werden, da enorme Mengen vorhanden sind. Bsp.: Ein Athlet mit 70kg Körpergewicht und 10% Körperfett (sehr gering also) hat immer noch 7kg Fettmasse und demnach in der Theorie knapp 49.000 kcal zur Verfügung. Der Körper muss also vor allem im Training dahin gebracht werden, dass er viel Fett auch verstoffwechseln kann. Proteine spielen im Rennen selber keine ernsthafte Rolle. Da die Verdaulichkeit schwierig ist, sollte größtenteils darauf verzichtet werden. Im Alltag sind sie aber natürlich – in Abhängigkeit von Art des Proteins und Menge – u.a. für Reparationsprozesse der Muskulatur nötig, aber auch für das Immunsystem und vor allem für den Hormonhaushalt.“
Björn Geesmann: : „Ja, unter Berücksichtigung von Aerodynamik & Streckenprofil ist dies auch möglich. Allerdings nicht so präzise, da äußere Umgebungsbedingungen deutlich höhere Auswirkungen haben.“
Vielen Dank, Björn, dass du dein Expertenwissen mit uns geteilt hast! Da du nun weißt, was es mit dem Laktat auf sich hat und wie du deine Formkurve mit Schwellentraining anhebst, wünschen wir dir gute Beine fürs Training und viel Erfolg im nächsten Wettkampf. Nicht abreißen lassen ;)