
Spätestens nachdem Deutschland 2014 in Brasilien Herrenfußball-Weltmeister wurde und die erfolgsversprechenden Trainingspraktiken genauer unter die Lupe genommen wurden, ist das sogenannte Neuroathletiktraining in aller Munde. Was steckt dahinter und welchen Mehrwert liefert neurozentriertes Training in der Praxis der Ausdauersportler und Triathleten?
Was ist neurozentriertes Training?
Das neurozentrierte Training bzw. Neuroathletiktraining, die wir in diesem Artikel als Synonyme verwenden, ist eine Weiterentwicklung des klassischen biomechanischen Athletiktrainings oder des modernen Functional Trainings. Die Erweiterung besteht darin, dass das Nervensystem und insbesondere das Gehirn als Steuerzentrale von Bewegungen in den Mittelpunkt des Trainings gerückt werden. Kurz und knapp: Training mit Köpfchen und die Verbindung von Sport und Psyche.
Während sich die klassischen Herangehensweisen auf das Ergebnis konzentrieren – die Bewegung –, steht im Fokus des neurozentrierten Trainings der Input, die Informationsaufnahme und -verarbeitung.
Letztlich soll mit dem neurozentrierten Training die Bewegungssteuerung optimiert werden, indem die Sinneswahrnehmungen im Allgemeinen verbessert und Fehler in der Kommunikation mit dem Gehirn ausgemerzt werden. Nur wenn das Nervensystem, bestehend aus dem visuellen, vestibulären und propriozeptiven System, die neuronalen Reize ohne Informationsverlust an das Gehirn weiterleiten kann, resultiert daraus eine perfekte Bewegungsausführung.

Info
- visuell: sehen → Steuerung der Bewegungen über alles, was über die Augen aufgenommen wird
- propriozeptiv: Körpergefühl → Selbstwahrnehmung des Körpers
- vestibulär: Gleichgewicht → richtet die Bewegungen gegen die Schwerkraft aus
Stuft das Gehirn hingegen die eingehenden Signale als unvollständig und damit unsicher ein, leitet der Körper automatisch Schutzmaßnahmen ein. Ähnlich zum Umgang deines Körpers mit Sportverletzungen. Prinzipiell ist das eine gutgemeinte Strategie des Körpers, was allerdings zu einer Reduzierung des Bewegungsumfangs bzw. der Geschwindigkeit oder gar Muskelverspannungen und Schmerzen beim Laufen oder beim Sport im Allgemeinen führt. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab. Um die maximale Leistung zu erreichen, müssen diese Schonhaltungen ausgeschaltet werden. Nur so kann das Gehirn ohne Einschränkungen die perfekte Bewegung steuern.
Die Lösung liegt demnach wie so oft in der richtigen Kommunikation zwischen den beteiligten „Spielern“ – in unserem Fall: unser Gehirn auf der einen Seite und der beanspruchte Körperbereich auf der anderen Seite. Funktioniert die Interaktion reibungslos, verbessert sich die Sicherheit im Bewegungsablauf und damit die körperliche sowie sportliche Leistung.
Je genauer du weißt, wo deine Augen bei der Bewegung sein sollten (visuelles System), je besser dein Gespür für die Bewegung ist (propriozeptives System) und je ausgeprägter dein Gleichgewichtssinn ist (vestibuläres System), umso besser sind auch die Bewegungsausführungen.
Für wen ist neurozentriertes Training geeignet?
- Profisportler und ambitionierte Athleten, die das volle Potenzial ausschöpfen und das letzte Quäntchen Richtung Perfektion herausholen möchten,
- neugierige Sportler, die einen neuen Trainingsansatz ausprobieren wollen, nicht weiterkommen oder mit Verletzungen zu kämpfen haben,
- Personen mit Beschwerden im Alltag (Kopfschmerzen, Rückenprobleme, Nackenschmerzen, Einschränkungen der Beweglichkeit, Verspannungen etc.)
→ Im Grunde für jeden
Spannend
Neuroathletik wird auch in der Reha (nach Verletzungen) angewandt.
Welchen Mehrwert bietet neurozentriertes Training für Ausdauersportler und Triathleten in der Praxis?
In der Praxis bedeutet neurozentriertes Training immer 1:1-Coaching. Jedes Nervensystem eines Menschen ist einzigartig, damit einhergehend ist auch jede Bewegung an ein individuelles neuronales Anforderungsprofil geknüpft. Was sich für den einen „richtig“ anfühlt, kann bei der gleichen Bewegungsausführung bei einem anderen zu Schmerzen führen. Eine eingehende Anamnese ist daher immer der erste Step. So können persönliche Erfahrungen bereits Rückschlüsse geben, in welchem Kontext Verspannungen und Verletzungen bzw. Leistungseinbußen auftraten. Mit ganzheitlichen Tests der Systeme wird der Einstieg in das neurozentrierte Training komplettiert.
Da durch die Trainingsphilosophie neue Reize gesetzt werden und der Sportler aus seinen gewohnten Bewegungsabläufen ausbricht, ist es ratsam, damit während der Saisonpause oder in der Saisonvorbereitung zu starten.
Es kann losgehen. Damit sich eine langfristige Wirkung einstellt, wird ein Training von 20-30 Minuten pro Tag empfohlen. Da das Nervensystem schneller agiert als bei biomechanischen Ansätzen, sind sehr schnelle Fortschritte in der Bewegungsoptimierung erkennbar. Erfolge sind unmittelbar fühl-, mess- und sichtbar. Dennoch brauchen langfristige Effekte viel Übung. Die Vorteile sind durch die Trainingsweise natürlich sehr individuell zu sehen, allgemein bewirkt neurozentriertes Training aber Folgendes:
- Identifizierung von Dysfunktionen & Asymmetrien
- Haltungskorrektur
- Lösen von Verspannungen, Blockaden
- Schmerzlinderung
- Verbesserung der Technik
- Ökonomisierung des Bewegungsablaufs
- Verletzungsprophylaxe (Körper wird „wacher“ und reagiert schneller)
So geht’s: Neuroathletiktraining beim Zähneputzen?
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie neurozentriertes Training aussehen kann, möchten wir dir ein paar einfache Übungen zeigen, die du hin und wieder in deinem Alltag integrieren kannst. Dazu gehören Gleichgewichtsübungen und Übungen für die Bewegungskontrolle. Beim Zähneputzen könnte dies beispielsweise so aussehen:
- Zähneputzen auf einem Bein
- Zähneputzen mit geschlossenen Augen
- Zähneputzen mit der anderen Hand
Es gibt auch einfache Tricks, um die Nervenbahnen vor dem Training aktivieren zu können. Dies geschieht, indem du mit der flachen Hand über die Körperpartien reibst, die du im Training vorrangig nutzen willst.

Das Team vergibt Freistarts bei zahlreichen Veranstaltungen. Dazu zählen die hochkarätigen Marathonläufe in Berlin und Hannover oder die Triathlon-Highlights in Hamburg und Köln.
Aus dem Blickwinkel einer Profi-Athletin: Daniela Bleymehl über ihre persönlichen Erfahrungen mit neurozentriertem Training
„Seit letztem November arbeite ich mit meinem Trainer Mario Schmidt-Wendling zusammen. Am Anfang unserer Zusammenarbeit ging es sehr viel um die Basics, allgemeine Athletik und Verbesserung der Technik in allen drei Disziplinen. Dabei fielen verschiedene Dinge auf, wie z.B. dass ich bestimmte, teilweise auch isolierte Bewegungen muskulär nicht richtig ansteuern kann oder, dass mein Kopf unter Belastung dazu tendiert, nach rechts zu neigen, sobald die Ermüdung einsetzt. Mario kam daher auf die Idee, den Bereich des Neuroathletiktrainings in meinen Trainingsalltag mit aufzunehmen.
Seit Anfang des Jahres arbeiten wir in dem Bereich mit dem führenden Experten für neurozentriertes Training in Europa, Lars Lienhard, zusammen. Mit sehr einfachen Übungen, wie z.B. durch Zungenkreisen, das Fixieren bestimmter Punkte mit einem oder beiden Augen, während man gleichzeitig bestimmte Übungen ausführt, oder auch mit verschiedenen Atemübungen konnten wir schon gute Fortschritte erzielen.
Konkrete Übungen für die Allgemeinheit zu beschreiben, wäre hier jedoch falsch, da eine Übung, die bei dem einen Athleten das Problem verbessert, beim nächsten keine oder sogar negative Auswirkungen haben könnte. Entscheidend sind die individuelle Ausgangssituation, die Durchführung entsprechender Tests und die Erstellung eines Trainingsplans durch einen Neuroathletiktrainer“
Wie du siehst, kannst du mit neurozentriertem Training als Ausdauersportler oder Triathlet einiges erreichen und so deinem Ziel von besseren Leistungen und persönlichen Fortschritten näherkommen. Probiere es doch selbst einfach mal aus ;)