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Auf Medaillenjagd bei den Paralympics

#Triathlon

Nikki Bartlett erzählt, wie es ist, ein Guide für eine sehbehinderte Athletin beim Paratriathlon zu sein

Auf Medaillenjagd bei den Paralympics

Die Paralympics zeigen wahrscheinlich noch deutlicher als andere sportliche Wettkämpfe: Nichts ist unmöglich, wenn man an sich glaubt und seine Ziele unaufhörlich verfolgt. Sieht man den Athleten zu, wie sie kämpfen, an ihre Grenzen gehen und siegen, vergisst man, dass sie auf die eine oder andere Weise ein Handicap haben. Sie strahlen einfach nur pure Freude, Entschlossenheit und einen starken Willen aus und leben ihre Leidenschaft für den Sport.

Um diesen Traum möglich zu machen, brauchen Paralympics-Athleten je nach Behinderung die richtigen Menschen an ihrer Seite. Sie unterstützen sie dabei, diese sportlichen Höchstleistungen zu bringen. Für die sehbehinderte Paralympics-Athletin Alison Peasgood ist diese Person Nikki Bartlett. Sie ist selbst Profitriathletin im Team ERDINGER Alkoholfrei und navigiert zudem Alison als Race Guide im britischen paralympischen Team durch die verschiedenen Disziplinen des Paratriathlons. Das große Ziel: Paralympics Tokio 2021!

Die Qualifikation haben die beiden bereits in der Tasche, am 13. August geht der Flieger. Das Rennen selbst findet schließlich am letzten Augustwochenende statt. Dann geht es für Nikki zurück zum IRONMAN Wales! Was für ein Spagat zwischen der eigenen Karriere und ihrer Rolle als Guide. Da können wir nur den Hut ziehen und viel Erfolg wünschen.

Im Interview erzählt die Nikki, wie ihre Arbeit als Guide aussieht und was sie aus der Zusammenarbeit mit Alison für ihre eigene sportliche Karriere gelernt hat.

Schon gewusst?

Der Paratriathlon wurde erstmals bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro (Brasilien) ins paralympische Wettkampfprogramm aufgenommen. Er besteht aus 750 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Radfahren und fünf Kilometer Laufen.

Vom Rudern zum Triathlon

Nikki Bartlett im Portrait
© Nikki Bartlett

Nikki Bartlett (*25.06.1987) kam über Umwege zum Triathlon, denn ursprünglich startete sie als Ruderin. In „Sport, Physical Education and Community Studies“ schloss sie 2008 ihr Studium an der University of Birmingham mit Auszeichnung ab. Währenddessen lernte sie zu rudern und wurde 2008 über die Initiative „Girls for Gold" in das „Rowing World Class Start"-System aufgenommen. Als sie an dem Programm teilnahm, erlitt sie leider einige Verletzungen, weshalb sie häufig aussetzen musste. Etwa zu dieser Zeit, im Jahr 2010, entdeckte Nikki erstmals den Triathlon für sich.

Bisher hatte sie damit keine Erfahrung und musste sogar erst einmal schwimmen lernen. Zudem kaufte sie sich ein billiges Rennrad, ein Paar Laufschuhe und fing an, hart zu trainieren. Heute beschreibt Nikki Bartlett sich selbst als sympathische Quasselstrippe, die immer gut drauf ist und damit jede Menge positive Vibes ins Team ERDINGER Alkoholfrei bringt. Seit 2016 tritt die Britin als Profi an und dies äußerst erfolgreich: 14-mal stand sie schon auf dem Podium bei bedeutenden Ironman- und Challenge-Rennen. 2019 gelang ihr der sensationelle Sieg beim IRONMAN Lanzarote. Doch die eigene Karriere war scheinbar nicht genug ;)

Alison Peasgood

Alison Peasgood (*1987) kam 2013 von der Leichtathletik zum Triathlon. Sie ist sehbehindert (mit weniger als 10 % Sehkraft) und arbeitete als Physiotherapeutin, bis sie schließlich dem Paratriathlon-Programm beitrat.

Alison erreichte 2015 in Edmonton ihren ersten Podiumsplatz auf höchster Ebene und setzte damit eine bemerkenswerte Serie von Ergebnissen in Gang, zu denen die Silbermedaillen bei der Weltmeisterschaft 2015 und bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 gehörten. 2017 setzte sie beim großen Finale in Rotterdam noch einen drauf und holte sich ihren ersten Weltmeistertitel.

Nikki, wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Alison?

Der British Triathlon startete 2018 eine „Guides for Gold"-Initiative, um potenziellen Guides die Möglichkeit zu geben, sich als „Race Guide" oder „Training Guide" für die männlichen und weiblichen Athletinnen mit Sehbehinderung des Programms zu bewerben. Ich war begeistert von dem „Interview“-Prozess, der aus zwei bis drei Testrunden bestand, von physischen Tests bis hin zu psychologischen Tests. Außerdem gefielen mir sofort die Teamstimmung und die Atmosphäre, die das Programm bot. Ich liebte es einfach! 2019 habe ich offiziell mit dem Guiding begonnen.

Welche Art von Behinderung hat Alison?

Alison ist eine „B2“-Athletin. In Alisons Rennklasse-Format sind die B1-Athleten komplett blind. Sie starten mit 3 Minuten und 48 Sekunden Vorsprung vor den B2- und B3-Athleten und haben im Grunde ein „Handicap" – das Rennen wirkt also wie eine große Verfolgungsjagd!

Info

Beim Paratriathlon unterscheidet man insgesamt fünf Wettkampfklassen für Athleten mit körperlichen Beeinträchtigungen (PTWC und PTS2-5) sowie eine zusätzliche Wettkampfklasse für Athleten mit Beeinträchtigungen der Sehfähigkeit (PTVI) wie bei Alison. Für die Männer sind die Klassen PTWC, PT4, PT5 und PTVI und für Frauen die Klassen PTWC, PT2, PT5 und PTVI paralympisch. In den einzelnen Wettkampfklassen treten jeweils Athleten mit unterschiedlichen und unterschiedlich schwer ausgeprägten Beeinträchtigungen gegeneinander an. Als Hauptprinzip der Zuordnung gilt der Grad der Auswirkung, den die Beeinträchtigung auf die Leistungsfähigkeit der individuellen Triathleten hat, nicht die Beeinträchtigung selbst. Daher können sich innerhalb einer Wettkampfklasse Athleten mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen einen fairen Wettkampf liefern. Zur Beurteilung der Auswirkung individueller Beeinträchtigungen auf die sportliche Leistung werden anhand eines Punktesystems die verschiedenen Disziplinen des Sports (Schwimmen, Radfahren und Laufen) unterschiedlich gewichtet und bewertet. Die Zuordnung der Athleten zu einer Wettkampfklasse erfolgt auf Grundlage der Gesamtpunktzahl.

Wie sieht das gemeinsame Training aus?

Nikki Bartlett und Alison Peasgood trainieren mit einem Tandem auf der Rolle.
© Nikki Bartlett

Ich bin ein reiner „Race Guide“ und mache daher mit Alison die Vorbereitung vor großen Rennen und den Wettkampf selbst. Sie hat einen Trainings Guide, das ist ihr Mann Jack Peasgood. Er ist essentiell wichtig für Alison, um ihr tägliches Training zu ermöglichen.

Was sind Alisons Ziele? Und welche Rolle kannst du dabei spielen, sie zu erreichen? Wie fühlt es sich für dich an, wenn Alison ihre Ziele erreicht?

Im Grunde ist es eine große Teamleistung. Vom Betreuerstab (Trainer, Fachleute - d. h. Psychologe, Physiologe, Physio, Kraft- und Konditionstrainer, usw.), den Trainings Guides und dem Medienteam. Ich bin nur ein kleiner Teil dieses Teams, das es Alison ermöglicht, ihre Ziele zu erreichen. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass wir nicht die paralympische Qualifikation und eine Medaille anstreben würden. Aber im Grunde wollen wir unser Bestes geben und alle unsere gesetzten Ziele am Wettkampftag erreichen. Alisons Kategorie (PTVI) hat sich in den letzten zwei Jahren weiterentwickelt, was fantastisch ist. Wenn wir also um einen Platz auf dem Podium kämpfen und unsere gesetzten Ziele erreichen können, ist das im Grunde das Hauptziel.

Welche Erfolge habt ihr bereits gemeinsam erzielt?

Nikki Bartlett und Alison Peasgood auf dem Treppchen
© Nikki Bartlett

Wir haben kürzlich den 3. Platz bei der Leeds World Para Series im Juni belegt. Das war Alisons erstes internationales Rennen seit fast zwei Jahren, da sie aus gesundheitlichen Gründen und dann wegen Covid19 Rennen absagen musste.

Wie fühlt es sich für dich an, wenn Alison ihre Ziele erreicht?

Pures Hochgefühl. Ein Teil davon zu sein, jemandem zu helfen, seine Ziele zu erreichen, ist ein fantastisches Gefühl. Das Lächeln auf dem Gesicht zu sehen. Unser erstes gemeinsames Rennen war 2019 in Mailand. Das ist mir besonders in Erinnerung geblieben, da wir mit deutlichem Vorsprung gewonnen haben. Das war auch ihr erstes Rennen als frisch verheiratete Peasgood! Ich erinnere mich an die Begeisterung und die pure Freude beim Überqueren der Linie in ihrem Gesicht.

Inwiefern hat deine Arbeit als Guide deine eigene Perspektive verändert?

Guiding als Ganzes ist etwas sehr Einzigartiges, Belohnendes und dieses Gefühl der Teamarbeit ist etwas, das man manchmal nicht in Worte fassen kann. Es hat mich die Kunst der Kommunikation gelehrt, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gegeben sowie Teamarbeit ermöglicht (was ich vermisst habe, als ich das GB Rowing World Class Start Programm verlassen habe). Es macht verdammt viel Spaß! Es gehört eine Menge dazu; vom „Klopfen" als Signal beim Schwimmen (man ist aneinander gefesselt), über durchgängige Kommunikation bis hin zum superschnellen Fahren auf dem Tandem und beim Laufen im Einklang zu sein. Man muss ein Vertrauensverhältnis zur Athletin aufbauen, damit sie sich wohlfühlt und am Renntag ihre Leistung bringen kann.

Wie kannst du deine Erfahrungen mit Alison auf deine eigene Profikarriere übertragen?

Ich denke, dass Selbstvertrauen das Wichtigste ist, sowohl beim Guiden als auch bei meinen eigenen Rennen. Selbstvertrauen und Gelassenheit in Momenten, die herausfordernd sind, während ich führe. Es kann nämlich viel schief gehen – z. B. löste sich bei unserem ersten Rennen die Schwimmleine im Seegras und Alison war dann nicht mehr an mich gebunden. Es ist wichtig, ruhig und entspannt zu bleiben und in der Lage zu sein, Probleme auf der Stelle zu lösen. Das Vertrauen zu haben, dass man der beste Race Guide ist und in der Lage ist, unter Druck auf einer großen Bühne abzuliefern, ist etwas, das entscheidend ist. Seit ich als PTVI Race Guide bei British Triathlon angefangen habe, habe ich viel Selbstvertrauen in meine Rennsportfähigkeiten gewonnen, und das war sicherlich ein wichtiger Teil bei meinen bisherigen Wettkampfleistungen.

Nikki Bartlett und Alison Peasgood beim Start
© Nikki Bartlett

Info

Wer nun selbst Lust bekommen hat, Guide zu werden, kann sich an den Deutschen Behindertensportverband wenden. Dieser wird aktiv, wenn ein Para-Athlet im Leistungssportbereich einen Guide sucht, da es keine offizielle Plattform für die Vermittlung von Guide und Sportler*in gibt.

Vielen Dank, Nikki, für dieses großartige Interview! Wir wünschen euch für die Paralympics in Rio sowie dir für deine eigene Triathlonsaison alles Gute und viel Erfolg.

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